Zum Autor:

Prof. Dr. Andreas
Roloff

Studium der Forst-
wissenschaften an der Universität Göttingen, wiss. Mitarbeiter, Promotion: "Morphologie der Kronenentwicklung von Fagus sylvatica L.", Habilitation: "Kronenentwicklung und Vitalitäts-
beurteilung"
Professur an der Universität Göttingen.
Direktor vom Institut für Forstbotanik an der TU Dresden in Tharandt.

 

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Vitalitätsbeurteilung anhand der Kronenstruktur

Lehrstuhl für Forstbotanik der TU Dresden, Tharandt

Während noch vor etwa 20 Jahren außerhalb der Botanik und Forstwirtschaft kaum ein Interesse an Baumkronen bestand ("eine Linde wuchs halt wie eine Linde, eine Stieleiche sah eben wie eine Stieleiche aus"), hat sich dies in der Folge die zunehm-
ende Bedeutung von Stadtbäumen grundlegend geändert. Eine Betrachtung der Kronenstruktur gewinnt für eine Vitalitätsbeurteilung immer mehr an Bedeutung, da die Problematik des Kriteriums "Laubverlust" wohl inzwischen jedem bewusst ge-
worden ist. Blattzahl und noch vielmehr Blattgröße sind erheblichen jährlichen Schwankungen unterworfen, zum Beispiel infolge von Trockenheit und Insektenfraß (Eichenwickler u.ä.) oder auch durch Blüte bzw. Fruktifikation, und daher zur Vitali-
tätsbeurteilung eines Baumes teilweise ungeeignet, wenn man andererseits natürlich die Belaubung auch nicht ganz außer Acht lassen sollte.
Unsere über 20jährigen Forschungen an Baumkronen haben hingegen nachge-
wiesen, dass die Verzweigung ein besser integrierender Vitalitätsweiser ist.
Vitale, ungeschädigte Laubbäume der Vitalitätsstufe 0 zeigen Wipfeltriebe in der Explorationsphase: Sowohl die Hauptachsen der Wipfeltriebe als auch teilweise deren seitliche Verzweigung bestehen aus Langtrieben. Dadurch entwickelt sich eine recht gleichmäßige, netzartige Verzweigung, die bis tief in das Kroneninnere reicht.
Im Sommer entsteht eine dichte Belaubung ohne größere Lücken.
Geschwächte Bäume der Vitalitätsstufe 1 zeigen Wipfeltriebe in der Degenerations-
phase. Dadurch entstehen aus der Kronenperipherie herausragende Spieße ("Flaschenbürsten"), an denen dicht und rundherum die Blätter angeordnet sind (am Ende der seitlichen Kurztriebe bzw. Kurztriebketten). Die Krone wirkt außen zerfranst, da der zwischen den Spießen befindliche Luftraum nicht oder nicht mehr vollständig durch Verzweigung und Blätter ausgefüllt wird.
An merklich geschädigten und devitalisierten Bäume der Vitalitätsstufe 2 beginnen auch die Wipfeltriebe selbst zur Kurztriebbildung überzugehen: die Stagnationsphase ist erreicht. Im unbelaubten Zustand ist dieses das "Krallen- oder Krähenfußstadium", da die Kurztriebe in der Kronenperipherie länger werden und überwiegen und sich krallenartig zum Licht recken. Das führt sommers wie winters zu pinsel-/
büschelartigen Kronenstrukturen und größeren Kronenlücken.
Bei stark geschädigten bzw. absterbenden Bäumen zerfällt die Krone schließlich in der Vitalitätsstufe 3 durch Ausbrechen größerer Äste und Absterben ganzer Kronen-
bereiche, insbesondere einiger Haupt-Wipfeltriebe, sowie infolge weiter fortschreit-
ender Astreinigung in Bruchstücke. Durch die großen Zwischenräume wirkt die Krone unharmonisch und skelettartig. Der Wipfel ist oft am Absterben oder bereits abge-
storben, da die Wipfeltriebe die Resignationsphase erreicht haben.

Weiteres in:
Roloff, A. (2001): Baumkronen – Verständnis und praktische Bedeutung eines komplexen Naturphänomens. Verlag E. Ulmer, Stuttgart, 164 S.
Roloff, A. (2004): Bäume – Phänomene der Anpassung und Optimierung. Ecomed Verlag, Landsberg, 276 S.


Vitalitätsstufen der Rot-Buche aufgrund der Verzweigung
(Winter- und Sommeransicht)