Damals in den Bäumen: Dynamischer Lebensraum formte die frühen Menschenartigen
Dr. Sören Dürr Senckenberg Pressestelle
Frankfurt a. M., den 18.02.2014. Wechselnde Umweltbedingungen üben einen starken Selektionsdruck auf Arten aus. Im frühen Miozän, vor ca. 18 Mio. Jahren, gab es in Afrika noch keine Savanne, unterschiedliche Lebensräume waren Triebkraft für die Entstehung der Menschenartigen. Auf der Insel Rusinga im Viktoriasee untersucht ein internationales Wissenschaftlerteam unter Beteiligung von Senckenberg-Säugetierspezialist Dr. Thomas Lehmann den Lebensraum einiger der frühesten Menschenartigen. Erstmals konnten die Foscher beweisen, dass diese schwanzlosen Affen wenigstens zeitweise in einem sehr dichten Wald lebten. Die Ergebnisse wurden jetzt im Fachjournal Nature Communications veröffentlicht.
Als die ersten Menschenartigen entstanden und sich ausbreiteten, begann der Ostafrikanische Graben sich zu öffnen. Über Millionen von Jahren hin entstand dadurch zeitgleich eine Vielzahl unterschiedlicher Lebensräume. Da sich ändernde Umweltbedingungen einen starken Selektionsdruck auf Arten ausüben, waren diese variablen Lebensbedingungen auch eine Triebkraft für die Evolution von Affen und Frühmenschen.
Die Savanne, die heute so charakteristisch für große Landstriche Afrikas ist, gab es damals noch nicht: Afrika war teils dicht bewaldet. Im kenianischen Teil des Viktoriasees auf der Insel Rusinga haben Forscher der Baylor University, Texas, USA, sowie anderer Universitäten und Dr. Thomas Lehmann, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, ein ca. 18 Mio. Jahren altes fossil erhaltenes Waldstück entdeckt und untersucht. Hier ist eine ganze Lebensgemeinschaft dokumentiert: Blätter, Baumstümpfe, Stämme, Wurzelsysteme, Wirbeltiere und Wirbellose Tiere. Dort, buchstäblich an den Fuß eines dieser Baumstämme, fanden die Forscher auch fossile Überreste von Proconsul, einer der ältesten Gattungen von Menschenartigen (Hominoiden). Dies ist der erste Beweis, dass Proconsul tatsächlich auch im Wald lebte.
Bauplan eines Waldbewohners
Proconsul ist für die Wissenschaft ein alter Bekannter: Diese Art ist durch zahlreiche Fossilien an verschiedenen Fundstellen Ostafrikas belegt. Aber an welchen Lebensraum war dieser Affe angepasst? Das war bisher unbekannt. "Frühere Arbeiten an den Fossilien-Fundstellen auf Rusinga deuteten auf eine Vielfallt gegensätzlicher Umweltvorlieben des Proconsul hin. Keine dieser früheren Arbeiten konnte den Proconsul eindeutig einem spezifischen Habitat zuordnen", erklärt Daniel Peppe, Junior-Professor für Geologie an der Baylor University.
Anatomisch scheint der Proconsul vielseitig in seiner Fortbewegungsweise: Sein großer Zeh und die Art, wie die Muskeln daran angesetzt haben müssen, deuten darauf hin, dass er mit den Füßen greifen konnte. Aber Schulter, Ellenbogen und Arme zeigen, dass er sich auch auf allen Vieren fortbewegte: Proconsul war für das Leben im Wald geeignet, konnte aber auch in offenen Landschaften zurecht kommen. Nun ist sicher, dass die Art zumindest für einige Zeit auch im Wald vorkam.
Beim Proconsul zu Hause
Doch Wald ist nicht gleich Wald. Da sich das fossile Waldstück auf Rusinga in einem bemerkenswert detaillierten Zustand erhalten hat, können es die Wissenschaftler sehr genau beschreiben und diesen Lebensraum eines frühen Menschenartigen als Ganzes betrachten. Die Bäume sind mit Wurzeln und so gruppiert erhalten, wie sie einmal gewachsen sind. Die Forscherinnen und Forscher konnten ausmessen, wie weit die Bäume auseinander standen, wie breit die Stammdurchmesser waren und wieviel Blattmasse anfiel. Daraus lässt sich berechnen wie dicht und feucht der Urwald war. In diesem Wald waren neben den frühen Menschenartigen auch verschiedene Nagetiere, Fleischfresser und Eichhörnchen beheimatet. Es war ein sehr dichter Wald mit großen, ein Kronendach bildenden Bäumen von bis zu 160 Zentimetern Stammdurchmesser.
Doch gab es diesen Wald nur für eine begrenzte Zeit. Spuren des Proconsul dagegen finden sich auch in anderen Grabungsschichten. Für diese Art war das Leben im Wald also nur eine neben anderen Optionen – was zeigt, dass die ältesten Menschenartigen über große Anpassungsfähigkeit in dynamischen Lebensräumen verfügten.
„Seit den 1940er Jahren wird in Rusinga nach Fossilien gesucht. Aber erst jetzt wurden diese Baumstämme gefunden“, erläutert Dr. Thomas Lehmann die Besonderheit der Fundstätte: „Nur durch die Zusammenarbeit von Geologen, Paläoanthropologen, Paläobotanikern, und Paläontologen konnte der Lebensraum dieser Frühmenschen vollständig untersucht werden und diese wechselnden Umgebungsbedingungen feststellen.“
Quelle: Informationsdienst Wissenschaft (idw)